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Synodaler Weg - schon versperrt?


Jan_Duever

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vor 12 Minuten schrieb iskander:

Des Weiteren bemüht sich die Kirche um neue Gläubige, zumindest offiziell. Das heißt, dass sie sich auch an Außenstehende wendet, und dass ihr die Reaktion von Außenstehenden nicht egal sein sollte. (Und an dieser Stelle sollte die Kirche dann auch mit offenen Karten spielen. Ich habe in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass einige besonders "krasse" trotz ihrer großen Brisanz kaum thematisiert werden und sich teilweise nicht einmal im KKK finden.)

Wahrscheinlich, weil sie niemanden interessieren. Nach meiner Wahrnehmung schreckt das Weichspülen der überkommenen Lehre eher ab als dass es Interesse weckt. Es wirkt auf mich zumindest eher langweilig.

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vor 15 Minuten schrieb iskander:

Darf ich Dich fragen, woher Du das mit dieser Sicherheit zu wissen glaubst? Realistisch muss man doch sagen, dass man nur mehr oder weniger begründet spekulieren kann. Klar ist, dass es - auch in der Sexualmoral - dramatische Veränderungen der Lehre gab. Ob es weitere geben wird oder nicht, wird allein die Zeit zeigen.

 

Natürlich kann ich die nächsten hundert Jahre nicht vorhersagen, doch fundamentale Änderungen in der Moral sind mir nicht bekannt (allerdings kann die Einschätzung, was fundamental ist, durchaus divergieren). Daß ein sexuelles Verhalten von sündhaft zu gut wechselt wäre mir neu.

Was sich womöglich ändert ist die Einschätzung der persönlichen Schuldigkeit aufgrund möglicher mildernder Umstände, aber dadurch wird etwas nicht gut.

Auch der nächste Papst wird katholisch sein.

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vor 20 Stunden schrieb Cosifantutti:

Natürlich besteht zwischen der Position des Lehramtes und der eigenen Gewissensentscheidung eine Spannung. Die letzte Instanz für das eigene Handeln ist jedoch das Gewissen....

 

Dazu vielleicht noch etwas Skeptisches: Ja, wenn ein Gläubiger vor seinem gewissen zu dem Schluss gelangt, dass er nicht nur nicht verpflichtet ist, sich an die kath. Moral zu halten, sondern sogar dazu verpflichtet ist, sich nicht an sie zu halten, wird die Kirche dies wohl in einem gewissen Sinne "anerkennen". Sie wird wohl nicht behaupten, dass jemand seinem eigenen Gewissen den Gehorsam verweigern solle. (Das würde im Übrigen auch der Lehre des Thomas v. Aquin widersprechen.)

 

- Allerdings wird die Kirche dann darauf bestehen, dass das Gewissen des betroffenen Gläubigen sich irrt und nicht angemessen und nicht unter hinreichender Berücksichtigung der kath. Wahrheit gebildet wurde. Denn der Mensch ist nach kath. Lehre grundsätzlich durchaus in der Lage, die sittliche Wahrheit einzusehen - und diese stimmt natürlich zu 100% mit der kath. Morallehre überein.

 

- Gleichzeitig ist ein solcher Katholik mit Sicherheit von den Sakramenten ausgeschlossen, mit vielleicht eineinhalb Ausnahmen: Unter bestimmten Umständen können wiederverheiratete Geschiedene neuerdings zur Eucharistie zugelassen werden. Aber offenbar ist das eine Einzelfallentscheidung des Seelsorgers und keine generelle Erlaubnis.

Zweitens gab es Erklärungen von verschiedenen Bischofskonferenzen, laut denen die Priester bei der "Verwaltung der Sakramente" die Gewissensentscheidung der Gläubigen im Hinblick auf die Empfängnisverhütung respektierten sollten. Solche Erklärungen wurden von Päpsten immerhin toleriert - allerdings hat das Familiendikasterium unter JPII ausdrücklich festgehalten, dass der Priester einer Person, die die Verhütung nicht bereut und künftig unterlassen möchte, auch keine Absolution in der Beichte erteilen dürfe.

Daraus wird man im Umkehrschluss ableiten dürfen, dass ein Handeln gegen die offizielle Sexualmoral unter Berufung auf das eigene Gewissen zumindest in allen anderen Fällen von den Sakramenten ausschließt.

 

Dass ein gläubiger Katholik zu einer anderen Auffassung als der offiziellen Lehre gelangt, und zwar nicht - weil er sich der "kath. Wahrheit" verschließt, sondern gerade, weil er die Wahrheit sucht, sich redlich mit der kath. Lehre auseinandersetzt, um Einsicht betet etc. pp. - ist innerhalb des kath. Systems schlichtweg nicht vorgesehen. Und dass so jemand dann auch noch gültig die Sakramente empfängt ist - abgesehen von einer oder vielleicht zwei Ausnahmen - erst recht nicht vorgesehen.

 

Die Kirche respektiert seit dem 2. Vatikanum zwar das Gewissen in dem Sinne, dass es etwa in religiösen Fragen keinen staatlichen Zwang geben solle. Aber bereits wenn es um moralische Fragen geht, sieht die Sache weniger klar aus. Man kann etwa Humane vitae so verstehen, dass Staaten ihre Gesetze im Sinne der kath. Moral halten sollen, also Verhütung verbieten oder erschweren sollen. ("23. Daher richten Wir das Wort an die Regierungen, denen vor allem die Verantwortung für den Schutz des Gemeinwohls obliegt und die soviel zur Wahrung der guten Sitten beitragen können: Duldet niemals, daß die guten Sitten eurer Völker untergraben werden; verhindert unter allen Umständen, daß durch Gesetze in die Familie, die Keimzelle des Staates, Praktiken eindringen, die zum natürlichen und göttlichen Gesetz im Widerspruch stehen. Um das Problem des Bevölkerungszuwachses zu lösen, kann und muß die staatliche Gewalt einen anderen Weg gehen: den einer weisen und vorausschauenden Familien- und Bildungspolitik, die das Sittengesetz und die Freiheit der Bürger sicherstellt.")

 

Erst recht scheint es kaum einen Platz dafür zu geben, dass ein Katholik, der in (nach kirchlicher Meinung) solch bedeutenden Fragen wie der Sexualmoral dem Irrtum verfällt und am Irrtum festhält, weiterhin ein praktizierender Katholik sein dürfte. im Grunde bleibt von der Gewissensfreiheit also nicht viel.

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vor 16 Minuten schrieb Merkur:

Wahrscheinlich, weil sie niemanden interessieren.

 

Nach kath. Lehre stellen sie aber ungemein wichtige Lehren dar, weil es da um das Seelenheil so vieler Menschen geht.

 

Zitat

Nach meiner Wahrnehmung schreckt das Weichspülen der überkommenen Lehre eher ab als dass es Interesse weckt. Es wirkt auf mich zumindest eher langweilig.

 

Na umso besser - das sage ich doch! Man sollte den Leuten reinen Wein einschenken. Beispielsweise:

 

- Wenn man einmal am Samstagabend oder am Sonntag nicht zur Messe geht,  wird dies zur ewigen Hölle führen, wenn der Betreffende zur Unzeit stirbt und keine schwerwiegenden schuldmindernden Umstände vorlagen.

- Die Einwilligung in eine kurze sexuelle Lust (mindestens aber jeder verbotene sexuelle Akt) wird zur ewigen Hölle führen, wenn der Betreffende zur Unzeit stirbt und keine schwerwiegenden schuldmindernden Umstände vorlagen.

- Auch Ehepaaren sind alle sexuellen Praktiken außer dem unverhüteten Vaginal-Verkehr und dem, was ihn vorbeireitet, strengstens erboten.

- Wer sich nicht an diese Moral hält und sich diesbezüglich auf sein Gewissen beruft, darf weder beichten noch kommunizieren; tut er es doch, so macht er sich eines Sakrilegs schuldig (abgesehen eventuell von wenigen Ausnehmen, siehe meinen letzten Beitrag) .

 

Der offizielle Katholizismus ist m.E. viel radikaler, als das öffentlich wahrgenommen wird; wenn er diese Radikalität beibehalten will, ist das sein Recht, aber er sollte diese Radikalität dann fairerweise auch deutlich kommunizieren. Damit wäre dann auch der "Langeweile" des "Weichspülens" vorgebeugt. 

 

vor 29 Minuten schrieb rorro:

 

Stimmt. Sieht man u.a. in Afrika.

 

In Afrika wächst die Kirche vor allem, weil die Bevölkerung wächst. Wenn dort - was sehr zu hoffen ist - ein ganz anderes Niveau an Bildung und Wohlstand einzieht, wird man sehen, wie es weitergeht. Zudem habe ich ja unzählige Berichte verlinkt, die alle übereinstimmend dahingehen, dass man in Afrika offenbar wenig vom Zölibat hält; siehe etwa hier.

 

vor 14 Minuten schrieb rorro:

Natürlich kann ich die nächsten hundert Jahre nicht vorhersagen, doch fundamentale Änderungen in der Moral sind mir nicht bekannt (allerdings kann die Einschätzung, was fundamental ist, durchaus divergieren). Daß ein sexuelles Verhalten von sündhaft zu gut wechselt wäre mir neu.

 

Wir hatten das so oft, dass ich mir verwundert die Augen reibe. Hier hatte ich Dir bereits Beispiele gegeben. Ich wiederhole mich also:

 

 

- Früher wurde gelehrt, dass jeder Beischlaf, selbst in der Ehe, sündhaft sei. Und die sexuelle Lust war etwas Verwerfliches. So lehrt etwa Innozenz III: "[W]er wüßte nicht, daß das eheliche Beilager niemals ohne das Jucken des Fleisches, ohne die Glut der Unzucht, ohne den Schmutz der Libido vollzogen werden kann."

 

Das hat sich - zumindest in der Theorie - fundamental geändert. Die eheliche Lust ist per se neuerdings weder schlecht noch sündhaft; sie ist, sofern sie in angemessener Weise gesucht und vollzogen wird, sogar ein Geschenk Gottes. Hier ist also etwas eindeutig von "sündhaft" zu "erlaubt" und sogar "gut" mutiert.

 

- Die einzige Exkulpation für den ehelichen Beischlaf war im Mittelalter der Wunsch nach der Zeugung von Kindern. Nur derjenige, der den Geschlechtsverkehr ausübte, weil er Kinder zeugen wollte, oder weil der wollüstige Ehepartner auf dem Einlösen der ehelichen Pflicht bestand und man seinem Wunsch nachgeben musste, handelte sündenlos. Wurde der Verkehr hingegen aus anderen Gründen (sprich "Lust") vollzogen, lag zumindest eine lässliche Sünde vor. (Und das ist die mildere Interpretation, denn laut Innozenz III. gehört die "Glut der Unzucht" ja immer zum ehelichen Beilager.)

 

Heutzutage muss der Beischlaf weder durch den Wunsch nach Kindern noch durch die Ableistung einer Pflicht gegenüber dem begehrlichen Ehepartner gerechtfertigt werden, sondern darf auch aus gegenseitiger Zuneigung erfolgen. (Das ist wohl ungefähr der Fall, seitdem die Lehre des Alfons von Liguori sich durchsetzen konnte.) Ein solcher Beischlaf kann trotzdem immer noch legitim oder sogar wertvoll sein. Hier ist also wieder etwas von "sündhaft" zu "erlaubt" oder sogar "gut" mutiert.

 

- Geburtenregelung durch Zeitwahl war angesichts der Tatsache, dass die Zeugung der eigentliche Zweck des Geschlechtsverkehrs darstellte, und dass das Übel der Lust nur durch den hohen Wert der Zeugung von Kindern gerechtfertigt werden konnte, undenkbar. Von Augustinus wurde sie als "Zuhältermethode" verdammt.

 

Seit Pius XI. (vermutlich aber erst wirklich seit Pius XII.) dürfen sich Ehepaare zumindest in bestimmten Situationen hingegen durch die Beachtung des weiblichen Zyklus so verhalten, dass sie zwar Geschlechtsverkehr haben, dass aber eine Zeugung möglichst unwahrscheinlich ist. Hier wurde aus der Sünde also erneut eine Nicht-Sünde. 

 

- Lange Zeit durften Männer, die beischlaffähig, jedoch nicht zeugungsfähig sind, nicht heiraten.

 

1977 wurde dies geändert; jetzt sind auch Männer ohne "echten Samen" zur Ehe zugelassen. Hier wurde etwas, was einst "unmöglich" war, plötzlich doch "möglich".

 

(- Pius XII. bezeichnete den ehelichen Verkehr zwar nicht als "Unzucht", stellte ihn in Sacra virginitatis  aber als "unrein" dar: "23 Es ist ferner zu erwägen, dass die Verwalter der heiligen Geheimnisse nicht nur deshalb sich ganz der Ehe enthalten, weil sie ein apostolisches Amt versehen, sondern ebenso weil sie dem Altar dienen. Wenn schon die Priester des Alten Testamentes, während sie den Tempeldienst versahen, vom Gebrauch der Ehe abstanden, damit sie nicht wie die übrigen Menschen vom Gesetz als unrein erklärt würden[42], um wie viel mehr geziemt es sich, dass die Diener Jesu Christi, die täglich das eucharistische Opfer darbringen, in ständiger Keuschheit leben?"

 

Auch wenn das wohl nie offiziell aufgehoben wurde, dürfte es inzwischen obsolet sein - man denke nur an die "Heiligsprechung" des ehelichen Verkehrs durch JPII. Zudem heißt es in den "Bildungsrichtlinien zur Vorbereitung auf den priesterlichen Zölibat (vom 11. April 1974)" der Bildungskongregation, verlinkt seinerzeit von @Studiosus und übersetzt mit Deepl:

"Wenn die Kirche den Zölibat fordert, hat sie tiefe Beweggründe, die auf der Nachfolge Christi, der repräsentativen Funktion Christi als Haupt der Gemeinschaft und der Bereitschaft, als unverzichtbares Mittel zur ständigen Erbauung der Kirche zu dienen, beruhen. Sie ist nicht durch Gründe der 'rituellen Reinheit' oder durch die Vorstellung motiviert, dass die Heiligung nur durch den Zölibat erreicht werden kann."

In diesem einen Beispiel geht es zwar nicht darum, dass das einstmals Sündige sündenlos wird, aber doch immerhin darum, dass das "Unreine" auf einmal "rein" ist.)

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vor 30 Minuten schrieb iskander:

 

Nach kath. Lehre stellen sie aber ungemein wichtige Lehren dar, weil es da um das Seelenheil so vieler Menschen geht.

Das sieht ein großer Teil der Gläubigen für sich eben anders. Beim persönlichen Glauben des einzelnen stößt auch das Lehramt an seine Grenzen. Auch wenn es gelegentlich zu Verstimmungen führt, scheint das im großen und ganzen akzeptiert zu werden.

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vor einer Stunde schrieb iskander:

In Afrika wächst die Kirche vor allem, weil die Bevölkerung wächst.

 

Das ist demographisch falsch. Der Bevölkerungsanteil an Christen wächst dort und es keinesfalls so, daß Christen mehr Kinder bekommen als Animisten oder Muslime.

 

vor einer Stunde schrieb iskander:

So lehrt etwa Innozenz III: "[W]er wüßte nicht, daß das eheliche Beilager niemals ohne das Jucken des Fleisches, ohne die Glut der Unzucht, ohne den Schmutz der Libido vollzogen werden kann."

 

Zitatenquelle bitte (Du hattes initial nur Sekundärliteratur angegeben)

 

vor einer Stunde schrieb iskander:

Von Augustinus wurde sie als "Zuhältermethode" verdammt.

 

Hier auch bitte. Und war Augustinus Papst? Das muß ich verpaßt haben. Auch ein Heiliger kann irren.

 

Der Rest hat mit meinem Einwurf nichts zu tun, daher spare ich mir eine Replik.

bearbeitet von rorro
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vor 3 Stunden schrieb rorro:

Stimmt. Sieht man u.a. in Afrika.

Ist das nicht die Region, wo die Bischöfe froh sind, wenn ihre Priester nur eine Frau haben?

Aber auch dort traue ich den Witwen zu, daß sie brav sind und keinen Sex mehr habe...

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vor 3 Stunden schrieb Merkur:

Wahrscheinlich, weil sie niemanden interessieren. Nach meiner Wahrnehmung schreckt das Weichspülen der überkommenen Lehre eher ab als dass es Interesse weckt. Es wirkt auf mich zumindest eher langweilig.

 

Ich sehe zwei grundverschiedene katholische Kirchen:

 

Die Kirche der Gesetzestreuen:

Wirklich katholisch ist darin nur, wer sich an alle Regeln hält oder das zumindest ernsthaft versucht.

Diese wird gerne von schwachen Menschen gesucht, die in einem solchen Regelwerk Halt suchen.

Denen sollte man natürlich keine der vielen, Halt gebenden Regeln vorenthalten.

 

Die Kirche der Gottsucher:

Denen geht es in erster Linie um Gott, Ihn und Seine Liebe zu erkennen, Ihm nachzufolgen.

Für die sind die ganzen Regeln nur Hinweise, Wegweiser, allenfalls Schutzplanken wenn sie mal die Orientierung verloren haben.

Über allem aber steht die Liebe.

Der heilige Augustinus (zwar kein Papst aber immerhin ein Kirchenlehrer) sagte: "Liebe, und dann tue, was Du willst".

 

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vor 2 Minuten schrieb Moriz:

Der heilige Augustinus (zwar kein Papst aber immerhin ein Kirchenlehrer) sagte: "Liebe, und dann tue, was Du willst".

Der alte August hat aber auch jede Menge anderes verzapft, was die "Kirche der Gesetzestreuen" überhaupt erst ausmacht. Dazu kommt, daß hier wahrscheinlich wieder ein Liebesbegriff im Raum steht, der wenig mit unserem Normalverständnis gemeinsam hat.

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vor 6 Stunden schrieb rorro:

Das ist demographisch falsch. Der Bevölkerungsanteil an Christen wächst dort und es keinesfalls so, daß Christen mehr Kinder bekommen als Animisten oder Muslime.

 

Da hätte ich nun gerne eine gute Analyse, die das auseinanderdröselt. Wenn Du von mir Primärliteratur verlangst, wird eine solche Analyse meinerseits nicht zu viel gefordert sein. Auf die Schnelle habe ich nur das gefunden:

 

"Since 1970, the trends have changed. Since that time, the Catholic share of several sub-Saharan national populations has remained relatively stable. But the Catholic population has continued to grow because sub-Saharan Africa’s population has continued to grow — and it’s growing the fastest in the countries with most Catholics.

In 1970, there were seven African countries with populations of more than one million people which were at least 30% Catholic.

Each of those nations grew an average of 300% in total population between 1970 and 2020. 

For similar-sized African countries with lower Catholic populations, population growth over that same period was 275%.

Because populations are growing more quickly in counties with a greater share of Catholics, demographers predict that Africa will continue to become gradually more Catholic over the coming decades."

https://www.pillarcatholic.com/p/demography-reigns-down-in-africa

 

"Den Daten zufolge wächst allerdings die katholische Kirche deutlich langsamer (0,93 Prozent) als die Freikirchen. Insbesondere die Evangelikalen verzeichnen großen Zustrom, mit einem jährlichen Plus von 1,79 Prozent."

https://www.n-tv.de/politik/politik_person_der_woche/Das-Christentum-waechst-global-ueberraschend-stark-article24610462.html

 

Dass die kath. Kirche auch Leute aus andere (oft traditionellen) religiösen Gruppen bekehrt, streite ich nicht ab; aber sie scheint dabei nicht erfolgreicher zu sein als andere christliche Denominationen, und ein erheblicher Anteil ihres Wachstums scheint doch einfach auf den katholischen Kindersegen zurückzugehen. Wenn Du es genauer hast, bitte.

 

vor 6 Stunden schrieb rorro:

Zitatenquelle bitte (Du hattest initial nur Sekundärliteratur angegeben)

 

Selbst in der wissenschaftlichen Literatur ist das Zitieren aus der Sekundärliteratur zulässig und üblich. Die von mir im Folgenden zitierten Autoren haben jeweils umfassende Literaturverzeichnisse erstellt, und an der der Seriosität dieser Apparate hat m.W. bisher noch niemand gezweifelt. Noonans Buch "Contraception: A History of Its Treatment by the Catholic Theologians and Canonists" umfasst mehrere hunderte Seiten und stellt ein wissenschaftliches Standardwerk dar. Daher sollte ein Verweis auf solche Werke mit ausführlicher Zitation auch für unsere Zwecke genügen - es sei denn natürlich, Du legst an dieser Stelle strengere Maßstäbe an, als sie in der Wissenschaft üblich sind, weil Dir inhaltlich nicht zusagt, was ich zitiere. Ansonsten wirst Du selbst anhand der von mir angegebenen Sekundärliteratur recherchieren müssen.

 

Zur Vorgeschichte bzw. zur Haltung von Gregor dem Großen schreibt Noonan (S. 150):

 

"At Rome itself no explicit teaching on contraception appeared [in der damaligen Zeit], but authoritative support was given to a new doctrine on marital intercourse, so austere in its demands that contraception would have been unthinkable for those accepting it. The new doctrine was the work of St. Gregory, known to posterity as 'the Great,' the last doctor of the patristic Church, the first strong medieval pope. [...] In his Pastoral Rule, Gregory provided a chapter on 'How the Married and the Celibate Are To Be Admonished.' The married were to be admonished that they might copulate only to produce children. This was merely Augustine. But Gregory went further. Not only is pleasure an unlawful purpose in intercourse, but if any pleasure is 'mixed' with the act of intercourse, the married have 'transgressed the law of marriage.' Their sin, to be sure, is as small a one as the nonprocreative purpose in Augustine; it may be remitted by 'frequent prayers.' But sin has been committed. The guilty married have 'befouled' their intercourse by their 'pleasures' (Pastoral Rule 3.27, PL 77: 102).

The same doctrine was repeated in an even more celebrated letter of Gregory to St. Augustine, archbishop of Canterbury. The authenticity of the letter has been doubted, but not, I think, disproved.9 If considered ungenuine, it would have less authority today. But it was ascribed by Bede to Gregory and from 730 on was accepted by the Middle Ages as Gregory's teaching, and its content does not differ from the Pastoral Rule."

 

Und speziell zu Innozenz schreibt Noonan (S. 197):

 

"This violent hostility to pleasure as a purpose was joined, in some authors, by the belief that any pleasure experienced in intercourse, even procreative intercourse, was sinful. This doctrine had been that of Gregory the Great. In the twelfth century his position was dourly set forth by Huguccio. Coitus 'can never be without sin, for it always occurs and is exercised with a certain itching and a certain pleasure; for, in the emission of the seed, there is always a certain excitement, a certain itching, a certain pleasure' (Summa 2.32.2.1). He characterized this pleasure as 'a very small venial sin.'
Huguccio's position was far from unique among the orthodox. It was shared by Gandulf, a theologian and canonist who was Huguccio's predecessor at Bologna.67 More strikingly, it was repeated by one of the most energetic of medieval popes and a star pupil of Huguccio, Innocent III, writing as a private theologian: 'Who does not know that conjugal intercourse is never committed without itching of the flesh, and heat and foul concupiscence, whence the conceived seeds are befouled and corrupted?' (On the Seven Penitential Psalms 4, PL 217: 1058-1059). If an intelligent pope could think the Gregorian analysis so firmly established as to be the object of a rhetorical question, the theological popularity of the view in the late twelfth century can scarcely be doubted."

 

(Entsprechend hatte auch Deschner Innozenz zitiert.)

 

Innozenz scheint sich im Übrigen auch in anderen Worten in vergleichbarem Sinne geäußert zu haben (wenn auch kurze Zeit, bevor er Papst wurde) - auch wenn ich diesmal nur eine Zeitung zitieren kann, die allerdings ihrerseits eine Primärquelle angibt:

 

"«Geschaffen ist der Mensch aus Staub, aus Lehm, aus Asche, und was nichtswürdiger ist: aus ekelerregendem Samen. Empfangen ist er in der Geilheit des Fleisches, in der Glut der Wollust, und was noch niedriger ist: im Sumpf der Sünde.» (Innozenz III.: «Über das Elend des menschlichen Daseins», 1195)"

 

Hier hast Du es also schwarz auf weiß, unter anderem aus einem umfangreichen wissenschaftlichen Werk mit direkten Quellenangaben: Die Päpste Gregor der Große und Innozenz III. billigten den Koitus allein um der Zeugung von Kindern willen und gingen sogar noch weiter, indem sie jeden ehelichen Koitus zumindest als lässliche Sünde und die sexuelle Lust als Übel betrachteten. (Offenlegung:  Ich habe nicht Noonans gesamtes Buch gelesen, welches insgesamt über 550 Seiten hat, sondern habe es gezielt zur Recherche benutzt.)

 

Das widerspricht klarerweise der heutigen offiziellen Doktrin, nach welcher

a) sexuelle eheliche Akte keineswegs per se sündhaft sein müssen (nicht einmal lässlich),

b) die sexuelle Lust per se nicht schlecht, sondern gut ist (auch wenn der Mensch sie missbrauchen kann) und sogar gesucht werden darf

b) die Zeugung eines Kindes beim Geschlechtsakt auch keineswegs immer angestrebt werden muss und

c) die Zeugung mittels Kalendermethode unter Umständen sogar ausgeschlossen werden darf.

 

Sind das grundsätzliche Unterschiede oder nicht? Und sind das pragmatisch relevante Unterschiede oder nicht?

 

Zu Augustinus zitiere ich ausführlicher aus Ranke-Heimenanns "Eunuchen für das Himmelreich", die verschiedene Quellen angibt:

 

"Die empfängsnisverhütende Methode, die von den Manichäern benutzt wurde und über die Augustinus nach seiner Bekehrung seinen ganzen Zorn ergießt, ist die einzige Methode, die heute in der Kirche mit kirchlichem Segen angewendet werden darf. [...] Augustinus wendet sich nämlich an die Manichäer: »Habt ihr uns früher nicht ermahnt, so sorgsam wie nur möglich auf die Zeit nach der monatlichen Reinigung zu achten, wenn zu erwarten ist, daß die Frau empfängt, und zu dieser Zeit uns vom Verkehr zu enthalten, damit nicht eine Seele in das Fleisch eingeschlossen werde. Daraus ergibt sich, daß nach eurer Überzeugung die Ehe nicht dazu da ist, Kinder zu zeugen, sondern die Begierde zu befriedigen« (Die Moral der Manichäer 18, 65).

Daß Augustinus auf Anraten der Manichäer besonders auf die Zeit nach der Menstruation achtete, hängt mit der damaligen medizinischen Überzeugung zusammen, unmittelbar nach der Menstruation liege die fruchtbarste Phase der Frau. An einer anderen Stelle drückt er sich noch schärfer aus: »Am meisten von allem in der Ehe verabscheut ihr, daß Kinder geboren werden, und so macht ihr eure Hörer zu Ehebrechern ihrer Frauen, wenn sie aufpassen, daß ihre Frauen, mit denen sie Verkehr haben, nicht empfangen... Sie wollen keine Kinder haben, um derentwillen allein die Ehen geschlossen werden. Warum denn seid ihr nicht jene, die die Ehe verbieten... wenn ihr doch versucht, von der Ehe dasjenige wegzunehmen, was die Ehe überhaupt ausmacht? Wenn das nämlich weggenommen wird, sind die Ehemänner schändliche Liebhaber, Ehefrauen sind Huren, Hochzeitsbetten sind Bordelle und Schwiegerväter sind Zuhälter« (Gegen Faustus 15, 7). [...]

Augustinus hat sich vor allem über diese Methode [Zeitwahl] erregt, nachdem er speziell sie angewandt hatte: »Zuhältermethode« nannte sie Augustinus [...] Für Augustinus war also Verhütung nicht wie für das Kirchenoberhaupt zweigeteilt in erlaubt und unerlaubt, sondern sie war sämtlich unerlaubt. Er ereifert sich dabei sogar vorwiegend über die päpstlicherseits heute erlaubte Methode, weil seine Gegner, die Manichäer und er früher selbst vor allem ebendiese Methode anwandten."

 

Ranke-Heinemann gibt an dieser Stelle nicht an, wo der Begriff "Zuhältermethode" genau fällt, vielleicht müsste man in "Gegen Faustus" suchen. Kein Zweifel kann aber daran bestehen, dass er diese Methode vehement abgelehnt hat.

 

vor 6 Stunden schrieb rorro:

Und war Augustinus Papst? Das muß ich verpaßt haben. Auch ein Heiliger kann irren.

 

Augustinus beeinflusste die kath. Sexualmoral wohl mehr und nachhaltiger als jeder Papst. Noonan meint dazu:

 

"As for Augustine, his prestige in the twelfth-century Latin church was enormous. By his words alone a tradition against all forms of contraception seemed established. The tradition, however, did not rest in the naked assertion of what the Fathers had said or what the popes had commanded. It was a tradition set in the context of the orthodox victory over the Cathars and in the context of a theology of marriage and of original sin."

 

Noonan gelangt, was die Zulässigkeit der Zeitwahlmethode angeht, zu folgendem Schluss:

 

"Prior to the mid-nineteenth century, it was admitted that conception might be avoided by abstinence; no obligation to procreate was ever imposed. It was debated whether amplexus reservatus was permissible, and this debate continued. But never had it been admitted by a Catholic theologian that complete sexual intercourse might be had in which, by deliberation, procreation was excluded. It was, then, a capital event when use of a sterile period, even one wrongly calculated in fact, was permitted in theory. In the twentieth century the significance of this permission was to become apparent."

 

Erst im 19. Jh. gab es laut Noonan Entwicklungen in Richtung einer Billigung der Zeitwahlmethode. Und wirklich offiziell und eindeutig päpstlich gebilligt war das wohl sogar erst unter Pius XII. Mit den früheren Auffassungen wäre eine solche Erlaubnis unvereinbar gewesen.

 

Zitat

Der Rest hat mit meinem Einwurf nichts zu tun, daher spare ich mir eine Replik.

 

Indirekt schon: Dass es zu substantiellen Veränderungen der kath. Lehre und Praxis kam, zeigt sich auch an dem Beispiel, dass später dann Leute zur Ehe zugelassen wurden, die zuvor ausgeschlossen worden waren. (Und wenn der sexuelle Verkehr in der Ehe ("recht vollzogen") das eine mal "unrein" und später dann "rein" ist, zeigt das zumindest einen Wandel in der Mentalität.)

 

Ob sich die kath. Sexuallehre auch in Zukunft ändern wird, "weiß Gott allein". Aber mit hoher Sicherheit ausschließen zu wollen, dass es zu künftigen Äderungen kommen könne, weil sich ja bisher angeblich substantell nichts getan habe, ist nicht sonderlich gut begründet.

bearbeitet von iskander
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Florianklaus
vor 11 Stunden schrieb Moriz:

 

Ich sehe zwei grundverschiedene katholische Kirchen:

 

Die Kirche der Gesetzestreuen:

Wirklich katholisch ist darin nur, wer sich an alle Regeln hält oder das zumindest ernsthaft versucht.

Diese wird gerne von schwachen Menschen gesucht, die in einem solchen Regelwerk Halt suchen.

Denen sollte man natürlich keine der vielen, Halt gebenden Regeln vorenthalten.

 

Die Kirche der Gottsucher:

Denen geht es in erster Linie um Gott, Ihn und Seine Liebe zu erkennen, Ihm nachzufolgen.

Für die sind die ganzen Regeln nur Hinweise, Wegweiser, allenfalls Schutzplanken wenn sie mal die Orientierung verloren haben.

Über allem aber steht die Liebe.

Der heilige Augustinus (zwar kein Papst aber immerhin ein Kirchenlehrer) sagte: "Liebe, und dann tue, was Du willst".

 

Soviel Arroganz verschlägt mir die Sprache.

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vor 6 Stunden schrieb iskander:

 

Da hätte ich nun gerne eine gute Analyse, die das auseinanderdröselt. Wenn Du von mir Primärliteratur verlangst, wird eine solche Analyse meinerseits nicht zu viel gefordert sein. Auf die Schnelle habe ich nur das gefunden:

 

"Since 1970, the trends have changed. Since that time, the Catholic share of several sub-Saharan national populations has remained relatively stable. But the Catholic population has continued to grow because sub-Saharan Africa’s population has continued to grow — and it’s growing the fastest in the countries with most Catholics.

In 1970, there were seven African countries with populations of more than one million people which were at least 30% Catholic.

Each of those nations grew an average of 300% in total population between 1970 and 2020. 

For similar-sized African countries with lower Catholic populations, population growth over that same period was 275%.

Because populations are growing more quickly in counties with a greater share of Catholics, demographers predict that Africa will continue to become gradually more Catholic over the coming decades."

https://www.pillarcatholic.com/p/demography-reigns-down-in-africa

 

"Den Daten zufolge wächst allerdings die katholische Kirche deutlich langsamer (0,93 Prozent) als die Freikirchen. Insbesondere die Evangelikalen verzeichnen großen Zustrom, mit einem jährlichen Plus von 1,79 Prozent."

https://www.n-tv.de/politik/politik_person_der_woche/Das-Christentum-waechst-global-ueberraschend-stark-article24610462.html

 

Dass die kath. Kirche auch Leute aus andere (oft traditionellen) religiösen Gruppen bekehrt, streite ich nicht ab; aber sie scheint dabei nicht erfolgreicher zu sein als andere christliche Denominationen, und ein erheblicher Anteil ihres Wachstums scheint doch einfach auf den katholischen Kindersegen zurückzugehen. Wenn Du es genauer hast, bitte.

 

 

Selbst in der wissenschaftlichen Literatur ist das Zitieren aus der Sekundärliteratur zulässig und üblich. Die von mir im Folgenden zitierten Autoren haben jeweils umfassende Literaturverzeichnisse erstellt, und an der der Seriosität dieser Apparate hat m.W. bisher noch niemand gezweifelt. Noonans Buch "Contraception: A History of Its Treatment by the Catholic Theologians and Canonists" umfasst mehrere hunderte Seiten und stellt ein wissenschaftliches Standardwerk dar. Daher sollte ein Verweis auf solche Werke mit ausführlicher Zitation auch für unsere Zwecke genügen - es sei denn natürlich, Du legst an dieser Stelle strengere Maßstäbe an, als sie in der Wissenschaft üblich sind, weil Dir inhaltlich nicht zusagt, was ich zitiere. Ansonsten wirst Du selbst anhand der von mir angegebenen Sekundärliteratur recherchieren müssen.

 

Zur Vorgeschichte bzw. zur Haltung von Gregor dem Großen schreibt Noonan (S. 150):

 

"At Rome itself no explicit teaching on contraception appeared [in der damaligen Zeit], but authoritative support was given to a new doctrine on marital intercourse, so austere in its demands that contraception would have been unthinkable for those accepting it. The new doctrine was the work of St. Gregory, known to posterity as 'the Great,' the last doctor of the patristic Church, the first strong medieval pope. [...] In his Pastoral Rule, Gregory provided a chapter on 'How the Married and the Celibate Are To Be Admonished.' The married were to be admonished that they might copulate only to produce children. This was merely Augustine. But Gregory went further. Not only is pleasure an unlawful purpose in intercourse, but if any pleasure is 'mixed' with the act of intercourse, the married have 'transgressed the law of marriage.' Their sin, to be sure, is as small a one as the nonprocreative purpose in Augustine; it may be remitted by 'frequent prayers.' But sin has been committed. The guilty married have 'befouled' their intercourse by their 'pleasures' (Pastoral Rule 3.27, PL 77: 102).

The same doctrine was repeated in an even more celebrated letter of Gregory to St. Augustine, archbishop of Canterbury. The authenticity of the letter has been doubted, but not, I think, disproved.9 If considered ungenuine, it would have less authority today. But it was ascribed by Bede to Gregory and from 730 on was accepted by the Middle Ages as Gregory's teaching, and its content does not differ from the Pastoral Rule."

 

Und speziell zu Innozenz schreibt Noonan (S. 197):

 

"This violent hostility to pleasure as a purpose was joined, in some authors, by the belief that any pleasure experienced in intercourse, even procreative intercourse, was sinful. This doctrine had been that of Gregory the Great. In the twelfth century his position was dourly set forth by Huguccio. Coitus 'can never be without sin, for it always occurs and is exercised with a certain itching and a certain pleasure; for, in the emission of the seed, there is always a certain excitement, a certain itching, a certain pleasure' (Summa 2.32.2.1). He characterized this pleasure as 'a very small venial sin.'
Huguccio's position was far from unique among the orthodox. It was shared by Gandulf, a theologian and canonist who was Huguccio's predecessor at Bologna.67 More strikingly, it was repeated by one of the most energetic of medieval popes and a star pupil of Huguccio, Innocent III, writing as a private theologian: 'Who does not know that conjugal intercourse is never committed without itching of the flesh, and heat and foul concupiscence, whence the conceived seeds are befouled and corrupted?' (On the Seven Penitential Psalms 4, PL 217: 1058-1059). If an intelligent pope could think the Gregorian analysis so firmly established as to be the object of a rhetorical question, the theological popularity of the view in the late twelfth century can scarcely be doubted."

 

(Entsprechend hatte auch Deschner Innozenz zitiert.)

 

Innozenz scheint sich im Übrigen auch in anderen Worten in vergleichbarem Sinne geäußert zu haben (wenn auch kurze Zeit, bevor er Papst wurde) - auch wenn ich diesmal nur eine Zeitung zitieren kann, die allerdings ihrerseits eine Primärquelle angibt:

 

"«Geschaffen ist der Mensch aus Staub, aus Lehm, aus Asche, und was nichtswürdiger ist: aus ekelerregendem Samen. Empfangen ist er in der Geilheit des Fleisches, in der Glut der Wollust, und was noch niedriger ist: im Sumpf der Sünde.» (Innozenz III.: «Über das Elend des menschlichen Daseins», 1195)"

 

Hier hast Du es also schwarz auf weiß, unter anderem aus einem umfangreichen wissenschaftlichen Werk mit direkten Quellenangaben: Die Päpste Gregor der Große und Innozenz III. billigten den Koitus allein um der Zeugung von Kindern willen und gingen sogar noch weiter, indem sie jeden ehelichen Koitus zumindest als lässliche Sünde und die sexuelle Lust als Übel betrachteten. (Offenlegung:  Ich habe nicht Noonans gesamtes Buch gelesen, welches insgesamt über 550 Seiten hat, sondern habe es gezielt zur Recherche benutzt.)

 

Das widerspricht klarerweise der heutigen offiziellen Doktrin, nach welcher

a) sexuelle eheliche Akte keineswegs per se sündhaft sein müssen (nicht einmal lässlich),

b) die sexuelle Lust per se nicht schlecht, sondern gut ist (auch wenn der Mensch sie missbrauchen kann) und sogar gesucht werden darf

b) die Zeugung eines Kindes beim Geschlechtsakt auch keineswegs immer angestrebt werden muss und

c) die Zeugung mittels Kalendermethode unter Umständen sogar ausgeschlossen werden darf.

 

Sind das grundsätzliche Unterschiede oder nicht? Und sind das pragmatisch relevante Unterschiede oder nicht?

 

Zu Augustinus zitiere ich ausführlicher aus Ranke-Heimenanns "Eunuchen für das Himmelreich", die verschiedene Quellen angibt:

 

"Die empfängsnisverhütende Methode, die von den Manichäern benutzt wurde und über die Augustinus nach seiner Bekehrung seinen ganzen Zorn ergießt, ist die einzige Methode, die heute in der Kirche mit kirchlichem Segen angewendet werden darf. [...] Augustinus wendet sich nämlich an die Manichäer: »Habt ihr uns früher nicht ermahnt, so sorgsam wie nur möglich auf die Zeit nach der monatlichen Reinigung zu achten, wenn zu erwarten ist, daß die Frau empfängt, und zu dieser Zeit uns vom Verkehr zu enthalten, damit nicht eine Seele in das Fleisch eingeschlossen werde. Daraus ergibt sich, daß nach eurer Überzeugung die Ehe nicht dazu da ist, Kinder zu zeugen, sondern die Begierde zu befriedigen« (Die Moral der Manichäer 18, 65).

Daß Augustinus auf Anraten der Manichäer besonders auf die Zeit nach der Menstruation achtete, hängt mit der damaligen medizinischen Überzeugung zusammen, unmittelbar nach der Menstruation liege die fruchtbarste Phase der Frau. An einer anderen Stelle drückt er sich noch schärfer aus: »Am meisten von allem in der Ehe verabscheut ihr, daß Kinder geboren werden, und so macht ihr eure Hörer zu Ehebrechern ihrer Frauen, wenn sie aufpassen, daß ihre Frauen, mit denen sie Verkehr haben, nicht empfangen... Sie wollen keine Kinder haben, um derentwillen allein die Ehen geschlossen werden. Warum denn seid ihr nicht jene, die die Ehe verbieten... wenn ihr doch versucht, von der Ehe dasjenige wegzunehmen, was die Ehe überhaupt ausmacht? Wenn das nämlich weggenommen wird, sind die Ehemänner schändliche Liebhaber, Ehefrauen sind Huren, Hochzeitsbetten sind Bordelle und Schwiegerväter sind Zuhälter« (Gegen Faustus 15, 7). [...]

Augustinus hat sich vor allem über diese Methode [Zeitwahl] erregt, nachdem er speziell sie angewandt hatte: »Zuhältermethode« nannte sie Augustinus [...] Für Augustinus war also Verhütung nicht wie für das Kirchenoberhaupt zweigeteilt in erlaubt und unerlaubt, sondern sie war sämtlich unerlaubt. Er ereifert sich dabei sogar vorwiegend über die päpstlicherseits heute erlaubte Methode, weil seine Gegner, die Manichäer und er früher selbst vor allem ebendiese Methode anwandten."

 

Ranke-Heinemann gibt an dieser Stelle nicht an, wo der Begriff "Zuhältermethode" genau fällt, vielleicht müsste man in "Gegen Faustus" suchen. Kein Zweifel kann aber daran bestehen, dass er diese Methode vehement abgelehnt hat.

 

 

Augustinus beeinflusste die kath. Sexualmoral wohl mehr und nachhaltiger als jeder Papst. Noonan meint dazu:

 

"As for Augustine, his prestige in the twelfth-century Latin church was enormous. By his words alone a tradition against all forms of contraception seemed established. The tradition, however, did not rest in the naked assertion of what the Fathers had said or what the popes had commanded. It was a tradition set in the context of the orthodox victory over the Cathars and in the context of a theology of marriage and of original sin."

 

Noonan gelangt, was die Zulässigkeit der Zeitwahlmethode angeht, zu folgendem Schluss:

 

"Prior to the mid-nineteenth century, it was admitted that conception might be avoided by abstinence; no obligation to procreate was ever imposed. It was debated whether amplexus reservatus was permissible, and this debate continued. But never had it been admitted by a Catholic theologian that complete sexual intercourse might be had in which, by deliberation, procreation was excluded. It was, then, a capital event when use of a sterile period, even one wrongly calculated in fact, was permitted in theory. In the twentieth century the significance of this permission was to become apparent."

 

Erst im 19. Jh. gab es laut Noonan Entwicklungen in Richtung einer Billigung der Zeitwahlmethode. Und wirklich offiziell und eindeutig päpstlich gebilligt war das wohl sogar erst unter Pius XII. Mit den früheren Auffassungen wäre eine solche Erlaubnis unvereinbar gewesen.

 

 

Indirekt schon: Dass es zu substantiellen Veränderungen der kath. Lehre und Praxis kam, zeigt sich auch an dem Beispiel, dass später dann Leute zur Ehe zugelassen wurden, die zuvor ausgeschlossen worden waren. (Und wenn der sexuelle Verkehr in der Ehe ("recht vollzogen") das eine mal "unrein" und später dann "rein" ist, zeigt das zumindest einen Wandel in der Mentalität.)

 

Ob sich die kath. Sexuallehre auch in Zukunft ändern wird, "weiß Gott allein". Aber mit hoher Sicherheit ausschließen zu wollen, dass es zu künftigen Äderungen kommen könne, weil sich ja bisher angeblich substantell nichts getan habe, ist nicht sonderlich gut begründet.

 

Beeindruckend wie Du Dir Mühe gibst. kein Witz. Allerdings gibt es so manche Fehler.

 

1. sprach ich vom Anteil an Christen, der in Afrika wächst, nicht von Katholiken.

 

Christianity in Africa - Wikipedia

 

Zitat

 

Christianity is now one of the two most widely practiced religions in Africa.[74] There has been tremendous growth in the number of Christians in Africa - coupled by a relative decline in adherence to traditional African religions. Only nine million Christians were in Africa in 1900, but by the year 2000, there were an estimated 380 million Christians. According to a 2006 Pew Forum on Religion and Public life study, 147 million African Christians were "renewalists" (Pentecostals and Charismatics).[75] According to David Barrett, most of the 552,000 congregations in 11,500 denominations throughout Africa in 1995 are completely unknown in the West.[76] Much of the recent Christian growth in Africa is now due to indigenous African missionary work and evangelism and high birth rates, rather than European missionaries. Christianity in Africa shows tremendous variety, from the ancient forms of Oriental Orthodox Christianity in Egypt, Ethiopia, and Eritrea to the newest African-Christian denominations of Nigeria, a country that has experienced large conversion to Christianity in recent times. Several syncretistic and messianic sections have formed throughout much of the continent, including the Nazareth Baptist Church in South Africa and the Aladura churches in Nigeria. Some evangelical missions founded in Africa such as the UD-OLGC, founded by Evangelist Dag Heward-Mills, are also quickly spreading in influence all around the world. There are also fairly widespread populations of Seventh-day Adventists and Jehovah's Witnesses.

Some experts predict the shift of Christianity's center from the European industrialized nations to Africa and Asia in modern times. Yale University historian Lamin Sanneh stated that "African Christianity was not just an exotic, curious phenomenon in an obscure part of the world, but that African Christianity might be the shape of things to come."[77] The statistics from the World Christian Encyclopedia (David Barrett) illustrate the emerging trend of dramatic Christian growth on the continent and supposes, that in 2025 there will be 633 million Christians in Africa.[78]

A 2015 study estimates 2,161,000 Christian believers are from a formerly Muslim background in Africa, most of them belonging to some form of Protestantism.[79]

 

 

 

2. sprachst du von zwei Päpsten bzw. nur von einem, da Innozenz III. vor 1198 noch kein Papst war (wie Du selbst zugibst), sondern Lotario dei Conti di Segni hieß. Sprich: alles vor seiner Wahl ist definitiv keine Aussage eines Papstes - es gibt keinen "Innozenz III. im Jahr 1195".

 

In welchem Dokument hat Papst Gregor diese Aussage denn getätigt? War das ein lehramtliches? Wollte er es als solches verstanden wissen? Nur als Beispiel, um aufzuzeigen, daß das keine Petitesse ist: Papst Franziskus hat bspw. mal gesagt "diese Wirtschaft tötet" - nun wird ein iskander in 300 Jahren vielleicht mal auf die Idee kommen, dieser Papst hätte damit die Marktwirtschaft per se verdammt, doch das ist natürlich mitnichten der Fall. Der Kontext ist also entscheidend oder, wie es auch heißt: a text without a context is a pretext.

Zitate einfach so durch die Gegend zu schleudern bringt also nichts, so lang sie auch sein mögen.

 

Aber, noch einmal: das gehört nicht in den Thread zum SW.

bearbeitet von rorro
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vor 12 Stunden schrieb Moriz:

Ich sehe zwei grundverschiedene katholische Kirchen:

 

Ich kenne nur eine: in Einheit in Glauben und Praxis mit dem Bischof von Rom.

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vor 4 Minuten schrieb rorro:

 

Ich kenne nur eine: in Einheit in Glauben und Praxis mit dem Bischof von Rom.

das ist auch nur die Sicht der Kirche die den Papst als Oberhaupt hat und daher ohne Bedeutung, die Zeugen Jehovas sehen sich ja auch als die einzigen Christen
die Religionswissenschaft dehnt diesen Begriff weiter aus ebenso die christliche Theologie außerhalb der römisch katholischen Kirche 

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vor 6 Minuten schrieb Spadafora:

das ist auch nur die Sicht der Kirche die den Papst als Oberhaupt hat und daher ohne Bedeutung, die Zeugen Jehovas sehen sich ja auch als die einzigen Christen
die Religionswissenschaft dehnt diesen Begriff weiter aus ebenso die christliche Theologie außerhalb der römisch katholischen Kirche 

 

Es war die Rede von der katholischen Kirche.

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Offensichtlich aber, wie oben gesagt, die Gruppe "römisch katholische Kirche" versteht darunter etwas anderes als der Rest der christlichen Religionen
die Römer nehmen sich zu wichtig und es wird ja von "2 verschiedenen katholischen Kirchen" gesprochen somit ist nicht die römische Sondersicht gemeint

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vor 1 Stunde schrieb Spadafora:

Offensichtlich aber, wie oben gesagt, die Gruppe "römisch katholische Kirche" versteht darunter etwas anderes als der Rest der christlichen Religionen
die Römer nehmen sich zu wichtig und es wird ja von "2 verschiedenen katholischen Kirchen" gesprochen somit ist nicht die römische Sondersicht gemeint

 

Weiß man in Deinen ehemaligen traditionalistischen Kreisen wirklich nicht, daß mit "römisch" der römische Ritus gemeint ist? Es gibt auch  griechisch-katholische Kirchen, genauso armenisch-katholisch oder koptisch-katholisch. Alle sind in Einheit mit dem Papst, deswegen katholisch, aber eben nicht zwingend römisch.

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vor 9 Stunden schrieb rorro:

1. sprach ich vom Anteil an Christen, der in Afrika wächst, nicht von Katholiken.

 

Okay, soweit ist das mein Fehler. Allerdings war der ursprüngliche Kontext ja dieser:

 

Am 4.3.2024 um 16:43 schrieb rorro:
Am 4.3.2024 um 16:34 schrieb Moriz:

Dann wird die Kirche bald nur noch aus alten Witwen bestehen...

 

Stimmt. Sieht man u.a. in Afrika.

 

Nun zu Folgendem:

 

vor 9 Stunden schrieb rorro:

In welchem Dokument hat Papst Gregor diese Aussage denn getätigt? War das ein lehramtliches? [...] Der Kontext ist also entscheidend oder, wie es auch heißt: a text without a context is a pretext.

 

Ich habe mir nun die Mühe gemacht, die Original-Texte von Gregor dem Großen (in einer dt. Übersetzung) aufzufinden. Ich werde aus ihnen relativ ausführlich zitieren und sie auch verliken - und ihren historischen Kontext angeben. So hoffe ich, ein Maximum an Transparenz herzustellen.

 

Noonan gibt für Gregor folgende Quellen an (wie von mir schon zitiert):

"(Pastoral Rule 3.27, PL 77: 102).

The same doctrine was repeated in an even more celebrated letter of Gregory to St. Augustine, archbishop of Canterbury"

 

Zur ersten Quelle heißt es in der Wikipedia:

 

"The Book of Pastoral Rule (Latin: Liber Regulae Pastoralis, Regula Pastoralis or Cura Pastoralis — sometimes translated into English Pastoral Care) is a treatise on the responsibilities of the clergy written by Pope Gregory I around the year 590, shortly after his papal inauguration. It became one of the most influential works on the topic ever written. The title was that used by Gregory when sending a copy to his friend Leander of Seville. The text was addressed to John, the bishop of Ravenna, as a response to a query from him. Gregory later revised the text somewhat."

https://en.wikipedia.org/wiki/Pastoral_Care

 

(Dort auch mehr zum Kontext.) Hier hat also ein Bischof den Papst um Klärung von theologischen bzw. moralischen Sachfragen gebeten, und dieser hat ausführlich - in Form eines Buches - geantwortet.

 

Eine deutsche Übersetzung des entsprechenden Kapitels findet sich hier, ich zitiere ausschnittsweise:

 

"Auch muß man die Ehegatten daran erinnern, daß sie miteinander verbunden sind, um Nachkommenschaft zu empfangen. Wenn sie also unmäßig einander sich hingeben und so das Mittel der Fortpflanzung in eine Sache der Wollust verkehren, so sollen sie bedenken, daß sie, obwohl sie die Ehe nicht brechen, doch innerhalb dieser die Eherechte überschreiten. Darum müssen sie durch viel Gebet wieder gut machen, wenn sie durch Wollust die gottgefällige Art ihrer Verbindung beflecken. [...]

Das brennende Sodoma flieht man, wenn man unerlaubte Fleischeslust meidet. Die Bergeshöhe bedeutet die Reinheit der Keuschen. Auch diejenigen kann man als auf dem Berge befindlich betrachten, die zwar die fleischliche Verbindung pflegen, aber außer der zur Nachkommenschaft notwendigen Verbindung keiner fleischlichen Wollust frönen. „Auf dem Berge stehen“ heißt, im Fleisch nichts anderes als die Frucht der Nachkommenschaft suchen. Auf dem Berge steht, wer nicht fleischlich dem Fleisch sich hingibt. Aber wie es viele gibt, die zwar die Sünden der Fleischeslust aufgeben, aber doch im Ehestand bei der bloßen Ausübung der Pflicht nicht stehen bleiben, so verließ Loth Sodoma, kam aber nicht ins Gebirge, d. h. das sündhafte Leben wird aufgegeben, aber die Erhabenheit ehelicher Keuschheit nicht genau beachtet."

 

Ich gebe zu, dass ich nicht weiß, ob man Gregor so interpretieren sollte, dass er an dieser Stelle tatsächlich jede eheliche Lust für sündhaft erklärt; aber ganz klar ist, dass der Geschlechtsverkehr nicht "zur Wollust", sondern nur zur Zeugung legitim ist, und dass ein Verkehr, der nicht auf Nachkommenschaft abzielt, sondern aus Lust gesucht wird, sündhaft ist.

 

Die zweite Quelle ist ein Antwortbrief Gregors an den Bischof Augustinus von Canterburry ("Libellus responsionum") auf verschiedene Fragen:

 

"The Libellus responsionum (Latin for "little book of answers") is a papal letter (also known as a papal rescript or decretal) written in 601 by Pope Gregory I to Augustine of Canterbury in response to several of Augustine's questions regarding the nascent church in Anglo-Saxon England.[1]"

https://en.wikipedia.org/wiki/Libellus_responsionum

 

Dort heißt es in der dt. Übersetzung:

 

"Das Gesetz des alten Bundes hat dem Volke befohlen, dass der Mann nach dem Gebrauch der Ehe sich mit Wasser reinigen und vor Sonnenuntergang die Synagoge nicht betreten solle. Dies ist im geistigen Sinne zu verstehen: Der Mann pflegt nämlich Umgang mit seinem Weibe, wenn die Seele sich mit Wohlgefallen in Gedanken unerlaubter Begierlichkeit aufhält. Bevor nicht das Feuer der Begierlichkeit in der Seele verglüht ist, soll er sich der Gemeinschaft der Brüder für unwürdig halten, da er mit der Sünde der bösen Lust behaftet ist. Obwohl nun die Ansichten hierüber bei den verschiedenen Völkern auf Erden verschieden sind und die einen sich an dies, die andern an jenes halten, so war es doch von alten Zeiten her römische Sitte, nach dem Gebrauch der Ehe sich zu waschen und aus Ehrfurcht eine Weile der Kirche fern zu bleiben.

Wenn wir dies erklären, so halten wir deshalb die Ehe nicht für Sünde. Aber weil sogar der erlaubte Gebrauch der Ehe ohne Fleischeslust nicht stattfinden kann, so soll man sich das Betreten eines hl. Ortes versagen; denn die Fleischeslust kann durchaus nicht ohne Sünde sein. Nicht in Ehebruch oder Unzucht sondern in rechtmäßiger Ehe war derjenige erzeugt, welcher sprach: „Siehe in Ungerechtigkeit bin ich empfangen, in Sünden hat mich meine Mutter geboren.“5 Da er wusste, dass er in Ungerechtigkeit empfangen sei, so klagt er, auch in Sünden geboren zu sein. [...] In diesen Worten nennt [...] er jedoch nicht den Ehegebrauch selbst eine Sünde, sondern die mit demselben verbundene Fleischeslust. Manches ist erlaubt und recht, und doch werden wir in irgend einer Beziehung schuldbar, so bald wir es tun. [...] Der erlaubte Ehegebrauch muss also wegen der Nachkommenschaft, nicht wegen der Fleischeslust geschehen; um Kinder zu erzeugen, nicht um der Sünde zu fröhnen. Wenn also jemand nicht aus wollüstiger Begierlichkeit, sondern nur wegen der Kindererzeugung mit seiner Gattin Umgang pflegt, so darf man den Eintritt in die Kirche oder den Empfang des Geheimnisses des Leibes und Blutes unsers Herrn seinem eigenen Urteil anheimstellen. Wir dürfen den vom Empfang nicht abhalten, der die Kunst versteht, mitten im Feuer nicht zu brennen. Wenn aber nicht die Liebe zu den Kindern, die erzeugt werden sollen, sondern die Fleischeslust beim Ehegebrauch herrschend ist, so haben die Ehegatten einen Grund zur Reue wegen ihres Ehegebrauches. Und doch gestattet ihnen denselben die hl. Schrift, jedoch nicht ohne zugleich Furcht hinsichtlich dieser Erlaubnis einzuflößen. Der hl. Apostel Paulus sagt nämlich: „Wer nicht enthaltsam sein kann, der habe sein Eheweib [...] Jedoch fügt er sogleich bei: „Dies sage ich aus Nachsicht, nicht als Gebot.“ Denn was ohnehin erlaubt und gerecht ist, das braucht nicht nachgesehen zu werden. Er bezeichnet darum als Sünde, wovon er erklärt, dass es der Nachsicht bedarf."

 

Die Sache scheint mir hier sehr klar zu sein. Der Geschlechtsakt ist nur dann erlaubt, wenn er um der Kinder willen stattfindet und die Lust kein Motiv ist. Das hatten wir schon gesehen. Hinzu kommt aber nun eindeutig dies: Nur wer den Geschlechtsverkehr ohne Lust, Begehren und Leidenschaft vollziehen kann (etwa eine frigide Frau?) bleibt völlig frei von der Sünde. Alle anderen sündigen zumindest lässlich (in heutiger Terminologie).

(Insofern, das gebe ich zu, muss ich mich womöglich etwas korrigieren: Nicht jeder Sexualverkehr ist für Gregor sündhaft, sondern nur ein solcher, der mit sexueller Lust verbunden ist. Allzu dramatisch erscheint mir dieser Unterschied allerdings nicht.)

 

Zeitweise wurde die Authentizität des "Libellus responsionum" angezweifelt, aber zumindest laut engl. Wikipedia ist diese inzwischen unzweifelhaft (sieh  dort das Kapitel "Controversy over authenticity").

 

Wenn Bischöfe den Papst in seiner Eigenschaft als um Klärung und Unterweisung bitten und der Papst ausführlich in Form eines ganzen Buches oder langer Briefe antwortet, dann dürfte das durchaus päpstliche Lehre sein. Wenn ein Bischof dem Papst FI eine theologische Frage stellen würde und FI daraufhin einen ausführlichen Antwortbrief oder sogar ein ganzes Buch schreiben würde, wäre das ja auch als Ausübung seines Lehr- und Hirtenamtes verstehen. Ja, selbst wenn jemand FI fragt, wie die Klausel mit den wiederverheirateten Geschiedenen in Amoris leatitia zu verstehen sei und der Ppst als Antwort nur darauf hinweist, dass die argentinischen Bischöfe ihn richtig interpretieren, gilt das doch als kirchliche Lehre.

 

Noonan meint zur Autorität der Lehre von Gregor (S. 151, f.):

 

"By carrying the Alexandrian-Augustinian rule one step further, he [Gregory] not only rejected the Manichees but even more firmly barred contraception. In the context of his doctrine on intercourse, contraception would have appeared as a monstrous denial of the single excuse for coitus. Gregory's doctrine sealed, at the highest level, the opposition to contraceptive acts. Enhanced in authority by Gregory's personal prestige and increasing in importance as the papacy increased in authority in the Middle Ages, this doctrine assured the absolute condemnation of contraceptive practice by the entire ecclesiastical organization."

 

(Und dass mit "Contraception" hier auch die Kalendermethode eingeschlossen ist, ergibt sich eindeutig aus der Logik der Sache, wenn allein der Wunsch nach Kindern den Verkehr rechtfertigen kann und jede Lust dabei soweit nur möglich zu meiden ist.)

 

Ganz abgesehen davon gehst Du die Sache aus meiner Sicht etwas ahistorisch an. Es gibt ja auch das Lehramt der Theologen - ich meine, dass selbst Ratzinger das gesagt hat -, und das spielte früher eine wesentlich größere Rolle als heute. Heutzutage äußern sich der Papst und die ihm unterstellten Organe zu jeder theologischen und moralischen Frage von Relevanz, und die entsprechenden Lehren gelten als verbindlich und verpflichtend, selbst wenn sie nicht "ex cathedra" gesprochen werden. Die Theologen sollten sich (so zumindest die Theorie) daran halten.

Noch im Mittelalter sah das aber anders aus. Da haben sich die Päpste offenbar keineswegs zu allen Fragen geäußert, und selbst wenn sie das taten, konnte es gut sein, dass Theologen andere Auffassungen - und zwar ohne, dass sie deswegen notwendigerweise von Rom kritisiert oder gemaßregelt worden wären. Es scheint, dass bei vielen Fragen, insbesondere solchen, die nicht von Konzilen definitiv entschieden waren, durchaus ein gewisser Freiraum bestand.

 

Betrachten wir einmal den folgenden - kontrafaktischen - Fall: Kein Papst hätte je als Papst etwa die Meinung vertreten, dass der Geschlechtsakt nur um der Kinder willen stattfinden dürfe (oder ev. auch, dass die dabei entstehende Lust ein notwendiges Übel sei). Nehmen wir an, genau diese Lehre sei aber über Jahrhunderte von praktisch allen Theologen vertreten worden; sie habe die Ausbildung der Priester geprägt, den Inhalt der Bußbücher, die Überzeugungen der Beichtväter, womöglich sogar die Predigten der Pfarrer; diese Lehre sei an päpstlichen Universitäten gelehrt worden; kein Papst habe ihr je widersprochen, sondern manche Päpste hätten ihr, als sie noch keine Päpste und noch Theologen waren, sogar ausdrücklich zugestimmt. Die entsprechende Lehre habe die Geisteshaltung und die Auffassung der Kirche also völlig geprägt, und zwar mit Wissen und offenkundiger Billigung unzähliger Päpste. Könnte man dann sagen: "Die Kirche hat solche Lehren niemals vertreten, weil kein Papst sie ausdrücklich verkündet hat!" Das wäre doch eine abwegige und ahistorische Betrachtung. Und wie gesagt ist das auch hypothetisch.

 

Als Beispiel für die Freiheiten, die sich Theologen nehmen konnten, sei hier das zitiert, was Noonan (S. 324) zur Lehre von Thomas Snachez (1550 – 1610) schreibt:

 

"On the specific question of purpose in marital intercourse, Sanchez takes this position: if one is in the state of grace and does not intend an evil end, one virtually, although not explicitly, refers what one does to God. A married person in this state of mind seeking intercourse acts virtuously. There is, then, no need to fit the intention of married persons in coitus to one of the categories of purpose. There is no sin in spouses who intend "only to copulate as spouses" [...]

This approach eliminated the requirement of procreative purpose or even of a purpose to avoid fornication."

 

Es ist übrigens genau diese "laxe" Jesuitenmoral die sich hier andeutet, die die vom Prinzip her die heutige Lehre der Kirche bestimmt und etwas die Zeitwahlmethode überhaupt erst denkbar werden lässt. Wirklich klar durchgesetzt hat sie sich allerdings wohl erst etwa zur Zeit von Alfons von Liguori (1696 - 1787). Die "klassische" kath. Sexualmoral ist wesentlich rigider. Die heutigen "Konservativen" verteidigen nicht die traditionelle kath. Sexualmral, sondern eine historisch relativ junge Neuentwicklung. 

bearbeitet von iskander
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vor 9 Stunden schrieb rorro:
vor 22 Stunden schrieb Moriz:

Ich sehe zwei grundverschiedene katholische Kirchen:

 

Ich kenne nur eine: in Einheit in Glauben und Praxis mit dem Bischof von Rom.

 

Das dachte ich mir.

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vor 14 Stunden schrieb iskander:

Ich habe mir nun die Mühe gemacht, die Original-Texte von Gregor dem Großen (in einer dt. Übersetzung) aufzufinden. Ich werde aus ihnen relativ ausführlich zitieren und sie auch verliken - und ihren historischen Kontext angeben. So hoffe ich, ein Maximum an Transparenz herzustellen.

 

Noonan gibt für Gregor folgende Quellen an (wie von mir schon zitiert):

"(Pastoral Rule 3.27, PL 77: 102).

The same doctrine was repeated in an even more celebrated letter of Gregory to St. Augustine, archbishop of Canterbury"

 

Zur ersten Quelle heißt es in der Wikipedia:

 

"The Book of Pastoral Rule (Latin: Liber Regulae Pastoralis, Regula Pastoralis or Cura Pastoralis — sometimes translated into English Pastoral Care) is a treatise on the responsibilities of the clergy written by Pope Gregory I around the year 590, shortly after his papal inauguration. It became one of the most influential works on the topic ever written. The title was that used by Gregory when sending a copy to his friend Leander of Seville. The text was addressed to John, the bishop of Ravenna, as a response to a query from him. Gregory later revised the text somewhat."

https://en.wikipedia.org/wiki/Pastoral_Care

 

(Dort auch mehr zum Kontext.) Hier hat also ein Bischof den Papst um Klärung von theologischen bzw. moralischen Sachfragen gebeten, und dieser hat ausführlich - in Form eines Buches - geantwortet.

 

Du schreibst es selbst - dieses Buch behandelt nicht die Ehe, sondern die Frage, wie sich ein Hirte ("Pastor") zu verhalten hat. Es geht nciht um die Ehe, es geht nicht um Sex, es geht um das Verhalten eines Priesters ggü. seiner ihm anvertrauten Gläubigen.

 

vor 14 Stunden schrieb iskander:

Eine deutsche Übersetzung des entsprechenden Kapitels findet sich hier, ich zitiere ausschnittsweise:

 

"Auch muß man die Ehegatten daran erinnern, daß sie miteinander verbunden sind, um Nachkommenschaft zu empfangen. Wenn sie also unmäßig einander sich hingeben und so das Mittel der Fortpflanzung in eine Sache der Wollust verkehren, so sollen sie bedenken, daß sie, obwohl sie die Ehe nicht brechen, doch innerhalb dieser die Eherechte überschreiten. Darum müssen sie durch viel Gebet wieder gut machen, wenn sie durch Wollust die gottgefällige Art ihrer Verbindung beflecken. [...]

 

 

Ich habe leider gerade nur Zeit, auf diesen Abschnitt einzugehen, doch habe ich mich mal als reiner Schullateiner getraut, mir mal das lateinische Original anzuschauen. Und offenbar hatte der Übersetzer was gegen Papst Gregor (oder war deutlich verklemmter als dieser):

 

Admonendi sunt conjuges, ut suscipiendae prolis se meminerint causa conjunctos, et cum immoderatae admistioni servientes, propagationis articulum in usum transferunt voluptatis, perpendant quod licet extra non exeant, in ipso tamen conjugio conjugii jura transcendunt. Unde necesse est ut crebris exorationibus deleant quod pulchram copulae speciem admistis voluptatibus foedant.

 

Von "Wollust", also luxuria, ist das nirgendwo die Rede. Papst Gregor sagt, daß der eheliche Sex nicht nur dem reinem Vergnügen zu dienen hat (was durchaus eben ein Hinweis auf unerlaubte Verhütung mitmeinen kann) und das hat sich nicht wirklich geändert. Außerdem steht, wenn in der Übersetzung der BKV von "Fleischeslust" die Rede ist, auf Latein "delectatio carnis", das bedeutet Genuß und Vergnügen am "Fleisch" (diesen begriff würden wir heute so nicht mehr verwenden).

 

Wie gesagt, zu mehr keine Zeit aktuell.

 

Und gut, daß Du die Deschner'sche Agenda auch nicht mehr 1:1 übernimmst...

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vor 13 Stunden schrieb rorro:

Du schreibst es selbst - dieses Buch behandelt nicht die Ehe, sondern die Frage, wie sich ein Hirte ("Pastor") zu verhalten hat. Es geht nciht um die Ehe, es geht nicht um Sex, es geht um das Verhalten eines Priesters ggü. seiner ihm anvertrauten Gläubigen.

 

Zum einen: Wenn die Geistlichen die Eheleute auffordern sollen, nach dem Verkehr der Kirche fern zu bleiben, dann geht es natürlich indirekt auch um das Verhalten der Gläubigen.

Zweitens sagt Gregor aber doch ganz eindeutig, was sündhaft sei und was nicht sündhaft sei. "Sündhaft" wohlgemerkt nicht für die Hirten, sondern für die Eheleute, die sexuellen Verkehr haben. Sündhaft ist jeder eheliche Verkehr aus Lust - und letztlich sogar jeder eheliche Verkehr mit Lust. Sündenfrei ist nur der lustlose Koitus. Wenn das keine Aussagen über Sex und sexuelle Sünden ist: Was dann?

 

Stell Dir einmal folgende Situation vor: Papst FI würde die dt. Hirten so instruieren, dass sie von Eheleuten, die einen "vollendeten" nicht-vaginalen Verkehr pflegen, verlangen sollen, erst einmal zu beichten, bevor sie zur Kommunion gehen. Der Papst würde in diesem Zusammenhang ausdrücklich und unmissverständlich darlegen, dass ein "vollendeter" nicht-vaginaler Verkehr niemals ohne Sünde sein könne. Würdest Du dann sagen, dass es in der besagten päpstliche Instruktion nicht um Sex und sexuelle Praktiken und um Ehe gehe, sondern nur um das "Verhalten eines Priesters ggü. seiner ihm anvertrauten Gläubigen"? So dass dann im Zweifel der Gläubige beispielsweise weiterhin ruhig nicht-vaginale Sexualpraktiken pflegen darf, weil der Papst dazu ja gar nichts gesagt habe (obwohl er das ja eindeutig getan hat)?

 

vor 13 Stunden schrieb rorro:

Von "Wollust", also luxuria, ist das nirgendwo die Rede.

 

Der PONS online übersetzt voluptas mit "sinnliche Freuden", "Sinnengenuss" und "Wollust". Und dass die "voluptas" für Gregor (nicht allein) in diesem Kontext etwas Negatives, etwas Meidenswertes ist, scheint doch auf der Hand zu liegen. Würde man "voluptas" mit "Sinnesgenuss" übersetzen, käme im Übrigen doch auch kein wesentlich anderer Sinn heraus. So oder so überschreiten die Gatten ihre Rechte, wenn sie sich der "voluptas" hingeben, und sie sollen das mit viel Gebet wieder gutmachen.

 

Zitat

Papst Gregor sagt, daß der eheliche Sex nicht nur dem reinem Vergnügen zu dienen hat (was durchaus eben ein Hinweis auf unerlaubte Verhütung mitmeinen kann) und das hat sich nicht wirklich geändert.

 

Nein: Gregor sagt, dass der eheliche Sex überhaupt nicht dem Vergnügen zu diesen habe, und dass jedes sexuelle Vergnügen Sünde sei (und das ist natürlich weit von der heutigen Lehre entfernt). Um nur erneut folgenden kurzen Abschnitt zu zitieren:

 

"Aber weil sogar der erlaubte Gebrauch der Ehe ohne Fleischeslust nicht stattfinden kann, so soll man sich das Betreten eines hl. Ortes versagen; denn die Fleischeslust kann durchaus nicht ohne Sünde sein. Nicht in Ehebruch oder Unzucht sondern in rechtmäßiger Ehe war derjenige erzeugt, welcher sprach: „Siehe in Ungerechtigkeit bin ich empfangen, in Sünden hat mich meine Mutter geboren.“5 [...] Der erlaubte Ehegebrauch muss also wegen der Nachkommenschaft, nicht wegen der Fleischeslust geschehen; um Kinder zu erzeugen, nicht um der Sünde zu fröhnen. Wenn also jemand nicht aus wollüstiger Begierlichkeit, sondern nur wegen der Kindererzeugung mit seiner Gattin Umgang pflegt, so darf man den Eintritt in die Kirche oder den Empfang des Geheimnisses des Leibes und Blutes unsers Herrn seinem eigenen Urteil anheimstellen. Wir dürfen den vom Empfang nicht abhalten, der die Kunst versteht, mitten im Feuer nicht zu brennen."

 

Das ist doch absolut eindeutig. Gregor betrachtet die sexuelle Begierde und die sexuelle Lust als sündhaft, und zwar ausdrücklich auch dort, wo nicht "Ehebruch oder Unzucht" vorliegen, sondern jemand in "rechtmäßiger Ehe" gezeugt wird. Denn "sogar der erlaubte Gebrauch der Ehe [kann] ohne Fleischeslust nicht stattfinden", und Fleischeslust wiederum kann "durchaus nicht ohne Sünde sein" (jedenfalls in aller Regel nicht). Klarer geht es doch nicht mehr.

 

Wenn man etwas anderes behaupten wollte, müsste man sagen, dass es für Gregor prinzipiell verschiedene Arten des sexuellen Begehrens und sexueller Lust gebe, von denen manche legitim und manche illegitim wären. Nicht nur gibt es darauf keinerlei Hinweise und nicht nur stünde Gregor damit im Gegensatz zu den anderen kirchlichen Autoren seiner Zeit, sondern solche Überlegungen führen auch ins Nichts:

 

Wieso deutet Gregor nirgendwo auch nur mit einem Wort an, dass es neben der bösen Begierde und Lust auch ein moralisch akzeptables sexuelles Begehren und eine sündenfreie sexuelle Lust gebe, und dass man das eine durchaus vom anderen zu unterscheiden habe?

Und was genau sollte die böse Lust und Begehrlichkeit von der legitimen Lust und der legitimen Begehrlichkeit denn unterscheiden? Wie würde man etwa feststellen, dass die eine Art der Begierde bzw. Lust vorhanden ist, nicht aber die andere?

Und warum taucht die "sündhafte" Lust bei jedem Geschlechtsverkehr neben der "normalen" Lust auf?

Was überhaupt sollte das für eine merkwürdige "zweite Lust" sein? Offenbar etwas empirisch Greifbares, denn sonst könnte man ja nicht feststellen, dass sie neben der normalen, legitimen Lust bei jedem Geschlechtsverkehr einstellt!

Doch welches "Feuer" entzündet diese illegitime Lust neben jenem Feuer, das von der sündenfreien Lust erzeugt wird?

Und wieso geht Gregor nirgendwo auf solche Fragen ein, obwohl er hier doch eine völlig neue und revolutionäre Lehre ausbreiten würde, und obwohl ohne weitere Erläuterung völlig unklar bliebe, worauf er hinaus will?

 

Das ist doch alles weder sinnvoll noch historisch angemessen (und mir ist kein Autor bekannt, der das anders sähe). Gregor spricht - so wie andere kirchliche Autoren der damaligen Zeit auch - natürlich nicht von prinzipiell unterschiedlichen Arten sexueller Lust und sexuellen Begehrens, von denen manche gut und manche sündhaft seien. Er spricht von dem "einen", ganz normalen sexuellen Begehren bzw. der "einen", ganz normalen sexuellen Lust. Und diese ist für ihn immer sündhaft und zu meiden. (Wenn man das akzeptiert, ist es auch kein Mysterium mehr, wieso Gregor meint, dass die "sündhafte" Lust sich bei jedem sexuellen Verkehr einstelle; er beschreibt dann einfach eine allgemein bekannte Tatsache und wertet sie nur negativ.)

 

Es geht aus den jetzt und zuletzt zitierten Passagen auch hervor, dass Gregor sich nicht etwa wünscht, dass die Leute zum einen aus dem Streben nach Kindern und zugleich aus sexueller Lust heraus Geschlechtsverkehr haben sollen. Das wäre vor dem Hintergrund seiner Betrachtungsweise auch absurd. Vielmehr setzt er den Wunsch nach Kindern und das sexuelle Begehren schroff gegeneinander. Das eine ist legitim, das andere schlecht und sündhaft.

 

Doch selbst wenn es für Gregor - sehr hypothetisch gesprochen - tatsächlich einen Unterschied zwischen einer grundsätzlich "guten" und einer "bösen" sexuellen Lust gäbe, wäre diese Unterscheidung in der Praxis irrelevant. Denn wenn beim Geschlechtsverkehr zur hypothetischen "legitimen" Lust immer auch die sündhafte Lust dazukommt, ist eben doch jeder Geschlechtsverkehr sündhaft. Und dass diese "böse" Lust, welche nicht ohne Sünde sein kann, immer dabei ist, sagt Gregor ja in aller Deutlichkeit (auch wenn er ungewöhnliche Ausnahmefälle vielleicht nicht ganz ausschließt).

 

Zitat

Außerdem steht, wenn in der Übersetzung der BKV von "Fleischeslust" die Rede ist, auf Latein "delectatio carnis", das bedeutet Genuß und Vergnügen am "Fleisch" (diesen begriff würden wir heute so nicht mehr verwenden).

 

Die Übersetzung scheint doch zu passen. Und es gibt wie gesagt keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass Gregor irgendwo an eine "zweite Art von Lust" denken würde, welche allein sündhaft sei, und welche von einer hypothetischen "guten" sexuellen Lust und Begierde sorgsam zu unterschieden sei. "Lust", "Wollust", "Fleischeslust", "Geilheit" - bzw. die zugehörigen lateinischen Wörter - waren für Gregor mit Sicherheit weitgehend äquivalente Ausdrücke. Und sie waren für ihn unzweifelhaft alle stark negativ konnotiert, denn immer standen sie für Sünde.

 

Nochmals zu Folgendem:

 

Zitat

Papst Gregor sagt, daß der eheliche Sex nicht nur dem reinem Vergnügen zu dienen hat (was durchaus eben ein Hinweis auf unerlaubte Verhütung mitmeinen kann) und das hat sich nicht wirklich geändert.

 

Wenn ein Ehepaar die Kalendermethode anwendet, will es dann Sex "zum reinen Vergnügen" und ohne akuten Kinderwunsch haben? Oder praktiziert es den bewusst an den unfruchtbaren Tagen der Frau ausgerichteten Sex (auch) in der Absicht, Kinder zu zeugen?

 

Und wenn Du meinst, dass meine Frage eine unzulässige Dichotomie beinhalte: Das ist genau die Art von Dichotomie, die damals bei kath. Theologen herrschte!

Der "moderne" kath. Gedanke, dass ein Ehepaar unter bestimmten Bedingungen zwar ruhig durch die Zeitwahl die Empfängnis von Kindern meiden und "zum Vergnügen" Sex haben dürfe, dass das Streben nach "Vergnügen" aber auch dann von "Liebe" begleitet werden müsse und also der Sex nicht nur zum "reinen Vergnügen" stattfinden solle: Das wäre Gregor und seinen Zeitgenossen gleich aus mehreren Gründen absolut fremd gewesen. Erstens weil das Streben nach Lust (wenn nicht sogar ihr Erleben!) sündhaft ist und allein der Kinderwunsch den Geschlechtsverkehr legitimieren kann. Und zweitens weil "Liebe" von den damaligen theologischen Autoren zwar in einen Zusammenhang mit der Ehe, nicht jedoch in einen Zusammenhang mit dem ehelichen Verkehr gebracht wird. Was den Geschlechtsverkehr angeht, so kannte die kath. bzw. christliche Theologie lange Zeit zweierlei Motive: Einerseits den Wunsch nach Kindern und andererseits Geilheit. Sonst nichts.

(Gut: Es gab noch die zu billigende Bereitschaft des einen Ehepartners, seine eheliche Pflicht zu erfüllen, wenn der andere, unenthaltsame Ehepartner das verlangte. Aber zumindest dieser zweite Ehepartner, der den Verkehr aus Lust wollte, sündigte dann.)

 

Noonan (S. 198) fasst das kirchliche Verständnis, das selbst noch Jahrhunderte nach Gregor I. herrschte, so zusammen:

 

"[P]leasure in intercourse was, in the view of important authorities, always sinful, [...] the seeking of pleasure in intercourse could be mortal or, at best, venial sin, [...] love had no relation at all to acts of intercourse [...]."

 

Wenn Gregor heute leben würde, würde er glauben, dass die Welt komplett verrückt geworden sei, und zwar selbst die offizielle kath. Welt. Allein die Tatsache, dass es Sexualtherapeuten gibt, die etwa frigiden Frauen (und seien sie verheiratet!) helfen wollen, sexuelles Begehren und sexuelle Lust zu empfinden, wäre für ihn absurd oder eine Perversion. Es könnte einem ja gar nichts Besseres passieren, als frei von sexuellem Begehren und sexueller Lust zu sein. Wenn Sexualtherapeuten überhaupt eine legitime Aufgabe haben, dann die den Menschen dabei zu helfen, Begehren und Lust zu überwinden!

 

Oder nehmen wir an, Gregor würde folgende rhetorische Fragen von Deschner gelesen: "Wen wundert’s, daß nach Kinseys umfangreichen Erhebungen die streng katholischen Frauen ihren ersten Orgasmus sechs oder sieben Jahre später erreichen als die inaktiven Katholikinnen? Daß 21 Prozent der von Kinsey befragten streng katholischen Frauen ihren ersten Orgasmus mit fünfunddreißig Jahren hatten, obwohl die meisten von ihnen verheiratet waren und regelmäßig koitierten [1764]?"

 

Gregor und andere bedeutende Kirchenmänner wären unzweifelhaft stolz gewesen! Hätten Gregor hingegen Äußerungen von JPII gelesen, in welchen Sexualität und sexuelle Lust teilweise geradezu glorifizieren, und hätte er von der kath. Lehre gelernt, wonach die Gatten unter Umständen den Sex so planen dürfen, dass sie einerseits die Lust erleben und andererseits die Wahrscheinlichkeit, Kinder zu zeugen, minimieren: Er hätte wohl geglaubt, dass der Antichrist höchstpersönlich das Zepter in der Kirche übernommen habe.

 

Jedenfalls ist die Sexualmoral von Gregor (und anderen bedeutenden Kirchenmännern) wesentlich verschieden selbst von der heute offiziell gültigen kath. Moral. Und auch als man etwas milder wurde und das Empfinden von sexueller Lust nicht mehr als Sünde betrachtete, war doch lange Zeit klar, dass der Geschlechtsverkehr immer nur durch den Wunsch nach Kindern gerechtfertigt werden könne (was eine Geburtenregelung, und sei es durch die Kalender-Methode, natürlich eo ipso ausschließt). Das war für eine sehr lange Zeit völlig unzweifelhaft die kath. Lehre.

 

Was Innozenz III. angeht, so ist zumindest eine seiner von mir zitierten Äußerungen - mit der er ganz auf der Linie von Gregor liegt - womöglich in seiner Zeit als Papst gefallen. Leider habe ich das bisher nicht prüfen können, als Quelle werden von Noonan die Patrologia Latina angegeben, genauer: "On the Seven Penitential Psalms 4, PL 217: 1058-1059". [PL steht für Patrologia Latina.] Die entsprechende Stelle habe ich nicht online gefunden, und wann Innozenz seine entsprechenden Äußerungen genau getätigt hat, konnte ich auch nicht herausfinden.

 

Zitat

Und gut, daß Du die Deschner'sche Agenda auch nicht mehr 1:1 übernimmst...

 

Was Deschners Agenda war, hat oder hätte man ihn selbst fragen müssen; ich habe jedenfalls keine besondere "Agenda".

 

Gregor sagt das eine mal klipp und klar, dass der Geschlechtsverkehr nie ohne Lust und somit auch nie ohne Sünde sein könne, während er etwas weiter unten im Text die Möglichkeit einräumt, dass es vielleicht sein könne, dass jemand "die Kunst versteht, mitten im Feuer nicht zu brennen". Er scheint das aber wohl selbst entweder als einen abstrakten oder doch höchst ungewöhnlichen Fall betrachtet zu haben - sonst hätte er ja nicht weiter oben so eindeutig formuliert, dass jeder sexuelle Verkehr lustvoll und somit sündhaft sei (und zur Bestätigung den Psalmisten zitiert). Und Innozenz III. sagt - ob nun als Papst oder nicht -, dass der Geschlechtsverkehr nie ohne sündhafte Lust sein könne.

Ich hatte die Äußerungen von Gregor und von Innozenz III., so zusammengefasst, dass für diese beiden Männer sexueller Verkehr stets sündhaft sei. Auch wenn das eine Ungenauigkeit sein mag, ist sie doch wohl ziemlich marginal; und wenn ich auf diese Kleinigkeit aufmerksam mache, gebe ich damit keine besondere "Agenda" auf, zumal ich eine solche wie gesagt ohnehin nicht verfolge.

bearbeitet von iskander
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Am 6.3.2024 um 09:11 schrieb rorro:

Ich habe leider gerade nur Zeit, auf diesen Abschnitt einzugehen, doch habe ich mich mal als reiner Schullateiner getraut, mir mal das lateinische Original anzuschauen. Und offenbar hatte der Übersetzer was gegen Papst Gregor (oder war deutlich verklemmter als dieser):

 

Admonendi sunt conjuges, ut suscipiendae prolis se meminerint causa conjunctos, et cum immoderatae admistioni servientes, propagationis articulum in usum transferunt voluptatis, perpendant quod licet extra non exeant, in ipso tamen conjugio conjugii jura transcendunt. Unde necesse est ut crebris exorationibus deleant quod pulchram copulae speciem admistis voluptatibus foedant.

 

Von "Wollust", also luxuria, ist das nirgendwo die Rede. Papst Gregor sagt, daß der eheliche Sex nicht nur dem reinem Vergnügen zu dienen hat (was durchaus eben ein Hinweis auf unerlaubte Verhütung mitmeinen kann) und das hat sich nicht wirklich geändert. Außerdem steht, wenn in der Übersetzung der BKV von "Fleischeslust" die Rede ist, auf Latein "delectatio carnis", das bedeutet Genuß und Vergnügen am "Fleisch" (diesen begriff würden wir heute so nicht mehr verwenden).

Ich würde sagen, dass die deutsche Übersetzung für Gregor deutlich schmeichelhafter ist als das lateinische Original.

 

Zum einen spricht Gregor, wie du hervorhebst, von "voluptas", was ein eher niederschwelliges Wort ist und bereits "Begierde" erfasst. Er bezieht sich also eindeutig nicht auf irgendwelche "Übertreibungen" der Wollust, sondern verurteilt bereits die simple Begierde selbst.

 

Zum anderen schreibt er "admistis voluptatibus", was durch das deutsche "durch Wollust" nur sehr unvollkommen wiedergegeben wird. Treffend wäre "mit beigefügter Begierde". Womit eindeutig klar wird, dass die Begierde bereits sündhaft ist, wenn sie zur Zeugungsabsicht lediglich hinzutritt, und nicht nur, wenn sie diese ersetzt. Letztere Interpretation wäre bei dem deutschen Text noch möglich, das lateinische Original schließt sie eindeutig aus.

 

Sex ist also immer, auch in der Ehe, sündhaft, wenn Begierde dabei ist. Eindeutiger kann man sich nun wirklich nicht ausdrücken.

 

P.S.: Wie man ohne Begierde einen hochkriegen soll, für die Zwecke der Zeugung, erklärt Gregor nicht. Vielleicht kannte er sich da nicht so richtig aus.

bearbeitet von Aristippos
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